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InterviewJournal 1/22Konzepte | Entwicklung

Bochum: Begehrtes Wohnen im autoarmen Quartier

By 22. April 2022Mai 30th, 2022Keine Kommentare
Bochum, Begehrtes Wohnen im autoarmen Quartier
Der Bochumer Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke (l.) und NRW.URBAN-Geschäftsführer Ludger Kloidt diskutieren beim Baustellenrundgang Wohn- und Mobilitätsqualitäten der Zukunft.

Die Stadt Bochum setzt Trends

Stadt- und Verkehrsentwicklung haben sich in der Stadtbaugeschichte schon immer gegenseitig bedingt. Stadtplanerische Interventionen bewirken nachweislich eine Veränderung des Mobilitätsverhaltens, neue Mobilitätsmuster spiegeln sich in räumlichen Zuordnungen. Stadtplanung muss heute das denken, was Jahre später funktionieren und Akzeptanz finden soll. Wie kann das gelingen?

Die Stadt Bochum hat ein Mobilitätsleitbild erarbeitet, aus dem sich konkrete Maßnahmen ableiten. Das Wechselverhältnis von Stadtplanung und Verkehr soll bei allen Quartiersentwicklungen und bei der Infrastrukturplanung besondere Berücksichtigung finden. Das NRW.URBAN-Journal machte sich mit dem Bochumer Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke und NRW.URBAN-Geschäftsführer Ludger Kloidt auf den Weg, repräsentative Orte der Stadtentwicklung in Augenschein zu nehmen. Das Auto ließen sie stehen …

Bochum, Begehrtes Wohnen im autoarmen Quartier
Bochum, Begehrtes Wohnen im autoarmen Quartier

Im Leitbild Mobilität der Stadt Bochum heißt es, ein Ziel sei die „Großstadt mit Lebensgefühl“ – das kann vieles bedeuten und ein Autonarr versteht darunter etwas anderes als begeisterte Biker …

Dr. Markus Bradtke: Auch in den politischen Gremien der Stadt Bochum wurde sehr kontrovers diskutiert, ob autofreie Quartiere Akzeptanz finden können – ein Viertel ohne Parkplätze am Straßenrand, ohne Stellplatz oder Autogarage vor der Tür … Andererseits wünschen sich viele Menschen, dass ihre Kinder wieder auf der Straße Fahrradfahren lernen können, oder sie von ihrer Terrasse ins Grüne und nicht auf parkende Fahrzeuge blicken. Der Vermarktungserfolg bezüglich des Ostparks motiviert uns, in Zukunft noch mehr autofreie Quartiere zu planen. Viele Menschen suchen gezielt nach Wohnorten, in denen Rad- und Fußverkehr Vorrang haben.

Welche allgemeinen Ziele haben Sie im Leitbild Mobilität der Stadt Bochum verankert?

Dr. Markus Bradtke: Wir möchten den Anteil des Autoverkehrs am Gesamtverkehr in Bochum von heute 55 Prozent auf 40 Prozent senken – der Umweltverbund von Fuß-, Rad- und öffentlichem Verkehr soll sich auf 60 Prozent steigern. Dies möchten wir erreichen, indem wir es allen Menschen ermöglichen, ihren Mobilitätsbedürfnissen nachgehen zu können. Auch der Wunsch, ein Auto zu benutzen, hat seine Berechtigung. Idealerweise entstehen aber die meisten Mobilitätsbedürfnisse erst gar nicht, wenn wir kompakte Städte mit gesunden Nutzungsmischungen bauen.

Nun ist es einfacher, autoarme Konzepte in neuen Quartieren anzubieten, als bestehende Quartiere zu verändern. Was wollen Sie in Bochum flächendeckend umsetzen?

Dr. Markus Bradtke: Wir haben uns die konsequente Förderung von Fuß-, Rad- und öffentlichem Verkehr auf die Fahnen geschrieben. Unter anderem haben wir aktuell ein Ingenieurbüro aus Deutschland beauftragt, das in Abstimmung mit Expertinnen und Experten aus Holland ein Radverkehrskonzept erstellt. Eine Empfehlung lautet, nicht die Hauptverkehrsachsen umzubauen, sondern Nebenstraßen entlang dieser Achsen zu Velorouten auszubauen.

Bochum, Begehrtes Wohnen im autoarmen Quartier

Viele Menschen suchen gezielt nach Wohnorten, in denen Rad- und Fußverkehr Vorrang haben.

Dr. Markus BradtkeStadtbaurat Stadt Bochum
Bochum, Begehrtes Wohnen im autoarmen Quartier
In nur wenigen Gehminuten erreichen die Bewohnerinnen und Bewohner des Quartiers
Ostpark die Stadtbahnhaltestelle.

NRW.URBAN entwickelt das Quartier Feldmark ebenso wie die benachbarte Havkenscheider Höhe als treuhänderischer Entwicklungsträger – was ist zukunftsweisend an beiden Quartiersentwicklungen?

Ludger Kloidt: Mitten in Bochum entstehen bis 2025 Wohnungen für mehr als 3.000 Menschen – verdichteter Geschosswohnungsbau ebenso wie großzügiger Einfamilienhausbau. Hochbau und Freiraumplanung greifen durch eine kluge Anordnung der Gebäude, durch einen Wasserlauf und durch die Begrünung des Straßenraums so ineinander, dass optimale klimatische Bedingungen bewirkt werden können – hinzu kommen eine kluge Verkehrsführung und innovative Konzepte, um das Mobilitätsverhalten der Menschen im Quartier zu verändern: Quartiersgaragen ersetzen Parkplätze und Garagen am Haus, aus den ebenerdigen Fahrradboxen an den Häusern rollt man sein Rad ohne Anstrengung schnell heraus, als Ortsmittelpunkte sind Nahversorgungseinrichtungen und Arztpraxen geplant, die gut zu Fuß erreichbar sind. Straßenbahnhaltestelle und Bushaltestellen befinden sich in unmittelbarer Nähe. All das sind Aspekte, die zum Umstieg vom Auto aufs Rad oder auf Bus und Bahn motivieren.

Das zweite Wohnquartier im Ostpark Bochum neben dem Quartier Feldmark ist die Havkenscheider Höhe. Mit dem Projekt „Havkenscheider Höhe – höchst mobil“ hat sich die Stadt Bochum 2021 beim Landeswettbewerb „Mobil.NRW – Mobilität in lebenswerten Städten“ beworben und ist ausgezeichnet worden. Warum?

Dr. Markus Bradtke: Auch hier planen wir, wie im Quartier Feldmark, Quartiersgaragen. Das sind übrigens keine hässlichen Parkhäuser oder Tiefgaragen, sondern attraktive Mobilstationen mit vielen Angeboten: Vom Fahrradreparatur-Service über Carsharing-Angebote oder den Verleih von E-Bikes, Bollerwagen oder E-Lastenrädern ist dort alles möglich. Weitere Planungsdetails, mit denen wir punkten konnten, sind Mobility Points mit Fahrradladestation an Bushaltestellen oder barrierefreie Fuß- und Radwege im Quartier.

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Ähnliche Mobilitätsstationen wie hier an der Werrastraße in Bochum sind auch für die neuen Stadtquartiere geplant.
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So konsequent und umfassend hat bisher noch keine andere Kommune, für die wir tätig sind, eine autoarme Quartiersplanung realisiert.

Ludger KloidtGeschäftsführer NRW.URBAN

NRW.URBAN unterstützt Kommunen in ganz NRW bei Planungen und Quartiersentwicklungen. Macht das Bochumer Modell bereits Schule?

Ludger Kloidt: So konsequent und umfassend wie hier in Bochum hat bisher noch keine andere Kommune, für die wir tätig sind, eine autoarme Quartiersplanung realisiert. Aber es gibt immer mehr Anfragen nach Best-Practice-Beispielen. Bei einem Projekt in Meerbusch – einer eher ländlich geprägten Kommune – kam die Frage nach Mobilitätshubs, Quartiersgaragen und Car-Sharing-Angeboten direkt von den Bürgerinnen und Bürgern selbst. Die Akzeptanz für konstruktive, in die Zukunft gerichtete Ideen ist größer, als manche Planer oder Politiker vermuten würden.

Auch in Bochum-Gerthe entsteht auf einer rund zwölf Hektar großen Fläche ein Neubaugebiet: das Anne-Frank-Quartier. Herr Bradtke, was genau wird in Gerthe umgesetzt?

Dr. Markus Bradtke: Insgesamt entstehen 378 mit weiteren 35 optionalen Wohneinheiten. Es soll ein gemischtes Quartier werden, in dem sich Familien mit Kindern, Seniorinnen und Senioren, Paare und Singles wohlfühlen. Auch dort planen wir ein ressourcenschonendes, autoarmes Quartier mit 280 Stellplätzen in Quartiersgaragen sowie Mobilitätsstationen an drei zentralen Orten mit alternativen Mobilitätsangeboten für die „letzten Meter“.

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Vom Ostpark in die City – die Stadtbahn bringt Pendler in wenigen Minuten stressfrei ans Ziel.

Herr Kloidt, wie unterstützt NRW.URBAN die Stadt Bochum in diesem Prozess?

Ludger Kloidt: In Gerthe ist NRW.URBAN über das Programm „Kooperative Baulandentwicklung“ aktiv. Die gesamte Finanzierung des Projektes läuft also via Bürgschaft des Landes über einen Kredit der NRW.Bank – NRW.URBAN bietet allumfassende Betreuung, vom Ankauf, von der Erschließung bis zur Vermarktung der Flächen. Das geschieht in enger Abstimmung mit der Stadt Bochum, die Entscheidungskompetenz bleibt aber zu jedem Zeitpunkt bei der Stadt.

Dr. Markus Bradtke: In Gerthe war es extrem hilfreich, dass NRW.URBAN nicht nur Planungsbüros und Dienstleister für Entwicklung, Erschließung und Vermarktung ausgewählt und beauftragt hat, sondern den Dialogprozess konzeptioniert und moderiert. Wir hätten jetzt nicht einen so großen Konsens für die ersten städtebaulichen Planungen, wenn wir uns nicht so intensiv mit den Bürgerwünschen auseinandergesetzt hätten.

Bochum, Begehrtes Wohnen im autoarmen Quartier

Von den neuen Ostpark-Quartieren ist die Anbindung an wichtige Fahrradverbindungen geplant, unter anderem an den Springorum-Radweg, der wiederum einen Knotenpunkt zur neuen Opel-Trasse bekommen soll. So wächst das Radwegenetz in Bochum. Wie ist der Verlauf der Opel-Trasse geplant?

Dr. Markus Bradtke: Die Opeltrasse wird von Wiemelhausen bis nach Laer führen, der Radweg verbindet demnach nicht nur die beiden Stadtteile, sondern auch den Springorum-Radweg mit dem Parkway EmscherRuhr.

NRW.URBAN unterstützt die Stadt Bochum auch bei den Ausschreibungsverfahren für das Projekt Opel-Trasse, wie ist der Stand der Planung?

Ludger Kloidt: Die Opel-Trasse bietet neben der rein verkehrstechnischen Funktion auch Raum für attraktive Aufenthalts- und Erholungsnutzungen: So sind zum Beispiel auch attraktive Rastplätze mit Aufenthaltsqualität in Planung. Ein weiteres Stadtentwicklungsprojekt in Bochum – Mark 51°7 – soll an vier Stellen Anbindungen an die Opel-Trasse erhalten. Wir haben im September 2021 mit den Planungen begonnen und wollen Mitte 2023 mit dem Bau starten. Die ersten Räder werden Ende 2024 über die Opel-Trasse rollen.

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