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BeitragInterview

Biotop- und Artenschutz statt Eisenbahnen im Schwelmer Tunnel: Ein Interview mit Eigentümer und Höhlenforscher Stefan Voigt

By 9. Januar 2024No Comments7 Minuten Lesezeit
Schwelmer Tunnel - Radweg mit Radfahrer

Wie kommt ein Landschaftsbauer und Höhlenforscher dazu, einen Eisenbahntunnel zu kaufen? Diese und weitere Fragen zu diesem ungewöhnlichen Erwerb beantwortete uns Stefan Voigt bei einem Spaziergang durch den Schwelmer Tunnel, den er 2016 der Deutschen Bahn abgekauft hat.

Der Schwelmer Tunnel

Der 742 Meter lange Schwelmer Tunnel ist ein ehemaliger Eisenbahntunnel zwischen den Orten Schwelm und Gevelsberg. Er wurde 1879 erbaut und 1986 stillgelegt. Im Jahr 2016 unterstützte schließlich die BahnflächenEntwicklungsGesellschaft (BEG) – heute als operative Einheit zusammengewachsen mit NRW.URBAN – im Auftrag der Deutschen Bahn den Verkauf der Fläche. Ziel war es, eine Nutzung für entbehrliche Immobilien der Bahn zu finden, sie zu Bausteinen einer nachhaltigen Flächenstrategie zu machen und den Erhalt des Naturdenkmals Schwelmer Tunnel zu gewährleisten. Stefan Voigt war der Käufer.

Ein Spaziergang durch den Schwelmer Tunnel
Auf dem Gelände des Schwelmer Tunnels wird Artenschutz betrieben.

Herr Voigt, wie sind Sie Höhlenforscher geworden?

Stefan Voigt: Das ging schon in der Kindheit los. Ich habe mich damals mit 12 Jahren bereits für Archäologie interessiert und zum Beispiel römische Grabsteine gezeichnet. Meine Eltern waren mit mir einmal Urlaub in der Schwäbischen Alb im Urlaub, dort gibt es u.a. Burgen und keltische Ringwälle, die ich besucht habe. Dann bekam ich zum Geburtstag das Buch „Rulaman: Erzählungen aus der Zeit des Höhlenmenschen und des Höhlenbären“ von David F. Weinland geschenkt. Darin werden fiktive Geschichte erzählt, aber die darin beschriebenen Höhlen gab es alle wirklich. Man konnte sie besichtigen – das hat mich total beeindruckt. Hier in Ennepetal gibt es auch Höhlen, also bin ich damals mit Freunden auf den Fahrrädern losgezogen, um diese auf eigene Faust zu erkunden. Meine Eltern fanden das allerdings viel zu gefährlich. Glücklicherweise hatte sich aber gerade ein neuer Höhlenverein hier in der Gegend gegründet, von dem mein Vater den Vorsitzenden kannte. Also wurde ich Mitglied und die Leidenschaft für Höhlen nahm ihren Lauf.

Ich war hier vor Jahren in meiner Jugend, um die Tunnel zu erkunden und inzwischen gehört mir das Gelände - das ist schon ein Wunder.

Stefan VoigtRegionalbereichsleiter West, DB Station&Service AG
Der Eingang zum Schwelmer Tunnel

Durch Ihre Leidenschaft für Höhlen wussten Sie also bereits vor dem Erwerb des Tunnels, dass es hier Höhlen gibt?

Stefan Voigt: Ja ich wusste, dass es hier Höhlen gibt, das war der Grund des Kaufs. Man sieht draußen vor dem Tunnel schon die Oberflächenstrukturen am Stein. Es ist genau erkennbar, wo der Kalkstein anfängt. Man sieht die tollen fossilen Korallen. Um den Tunnel herum wurden bisher neun Höhlen entdeckt. Ich war hier vor Jahren in meiner Jugend, um diese zu erkunden und inzwischen gehört mir das Gelände, das hätte ich damals natürlich nie gedacht – das ist schon ein Wunder.

Was war ursprünglich Ihr Plan für den ehemaligen Eisenbahntunnel?

Stefan Voigt: Eigentlich waren meine Absichten nur das Erforschen der Höhlen und der Artenschutz. Das mit dem Fahrradweg, der jetzt durch den Tunnel führt, hat sich ein wenig verselbständigt. Das Leuchtturmprojekt der Region war damals die Nordbahntrasse, ein rund 22 km langer Fuß- und Radweg auf einer ehemaligen Eisenbahnstrecke. Schade ist, dass die Bahnbrücke hier in der Nähe damals abgerissen wurde, als die Autobahn A1 sechsspurig ausgebaut wurde – dadurch fehlt die

entscheidende Verbindung, sonst käme man von hier aus auch Richtung Nordbahntrasse. Ein Stück weiter hinter dem Schwelmer Tunnel verläuft die Radstrecke parallel zur neuen Bahnstrecke, aber mein Grundstück endet dort und Straßen NRW ist ab da zuständig. Es ist also ein öffentlicher Radweg, der in einem Streckenabschnitt durch ein privates Grundstück, eben meinen Tunnel, führt.

Ich hatte auch nie die Absicht, Geld mit dem Tunnel oder Grundstück zu verdienen, aber es hat sich hin und wieder so ergeben. Der Radweg war eine sehr gute Idee, da wollte ich nichts für haben. Inzwischen kommen aber immer mal wieder Anfragen verschiedener Art. Zum Beispiel hat das lokale Versorgungsunternehmen AVU hier Leitungen verlegen dürfen und im Juli 2023 wurde hier das Gelände gesperrt und ein Märchenfilm gedreht. Mit so einem Tunnel wird es nie langweilig.

Sie hatten in unserem Vorgespräch eine außergewöhnliche Beleuchtung angekündigt. Was hat es damit auf sich?

Stefan Voigt: Ja, das ist eine weitere Besonderheit: Wir haben hier eine intelligente Beleuchtung. Ich gehe in den Tunnel rein und mit mir geht das Licht an. Wenn ich weitergehe, geht das Licht hinter mir nach einer Weile wieder aus. Das funktioniert zu Fuß oder mit dem Rad. Ich habe es sogar mal mit meinem Quad ausprobiert und weiß daher, dass es ab ca. 80 km/h nicht mehr funktioniert.

Intelligente Beleuchtung im Schwelmer Tunnel: Das Licht reagiert auf Bewegung

Sie erwähnten zuvor bereits den Artenschutz. Wie setzen Sie den hier um?

Stefan Voigt: Beispielsweise durch den Krähenberger Bach. Der verlief früher überirdisch in einer Betonrinne. Inzwischen haben wir den Bach aber auf fast einem Kilometer Länge komplett freigelegt und renaturiert. Dadurch findet man darin nun u.a. Feuersalamanderlarven. Artenschutz wird hier großgeschrieben. Wir haben hier das größte Hirschzungenvorkommen des Ennepe-Ruhr-Kreises und trotz des Radwegs leben im Tunnel Fledermäuse, das ist auch etwas Besonderes. An den oberen Wänden außen wächst braunstieliger Streifenfarn – typisch für Untergrund wie diesen.

Schwelmer Tunnel: Blick von einem Ende zum anderen

Auch aus geologischer Sicht ist der Tunnel samt umliegendem Areal schützenswert, richtig?

Stefan Voigt: Das ist korrekt. An vielerlei Stellen innen und außen sind – auch für Laien – Oberflächenstrukturen zu erkennen. Viele Mulden sind tiefgründig verkarstet. An manchen Stellen sieht man zwei Massenkalkgürtel und dazwischen eine Sattelstruktur, in der viele verschiedene Gesteine aufgeschlossen sind. Diese Stellen sind Schaufenster in die Erdgeschichte. Ich habe schon angefangen, einige Stellen mit freundlicher Unterstützung des Geoparks Ruhr weiter freizulegen.

Andere Stellen zeigen zum Beispiel das Fossil eines Schwammes in der Wand, ein Leitfossil, das im Volksmund Nudelsalat genannt wird. Wieder andere geben ein Jahrtausende altes Korallenriff zu erkennen.

Weiter vorne vor dem Tunnel werden bald noch weitere Nischen freigelegt, darin befinden sich Brandenbergschichten, eine Abfolge abwechselnd grauer, grüner und roter Gesteine. Die NRW-Stiftung fördert dieses Vorhaben.

Was sind Ihre weiteren Pläne für die Zukunft?

Stefan Voigt: Ich habe schon den nächsten Tunnel gekauft in Wuppertal. Dabei handelt es sich um den Langerfelder Tunnel, der ebenfalls durch den Massenkalk gesprengt worden ist. Das ist auch wieder so eine typische Win-Win-Situation. Die Bahn möchte den benachbarten Rauenthaler Tunnel aufweiten, der Ausbruch soll dann in meinem Bahneinschnitt zu Rampen aufgeschüttet werden. Auf diesem ist dann ein weiterer Radweg geplant, der durch meinen Tunnel hindurch die Nordbahntrasse mit dem Radwegenetz im Süden Wuppertals verbinden soll. Leider sind große Teile des Gesteins in unsinniger Weise mit Spritzbeton verunstaltet worden, so das der ökologische Wert der Fläche nicht so bedeutend ist wie am Schwelmer Tunnel, aber es gibt auch hier einige vermauerte Portale und Nischen, hinter denen wir Höhlen vermuten.

Es bleibt also auch hier, wie in Schwelm, spannend.

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