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BeitragInterviewJournal 2/22

Wir machen Brachflächen zu Bauflächen – Ministerin Ina Scharrenbach im Interview

By 3. Oktober 2022November 29th, 2022Keine Kommentare
Ina Scharrenbach und Henk Brockmeyer auf der Dachterrasse des POHA-House im Hansator Münster, Fotograf: Franklin Berger
Fotos: Franklin Berger

Auf 8.200 Quadratmetern Bahn- und Brachfläche ist in Münster ein gemischtes Stadtquartier mit anspruchsvoller Architektur und Flächen für 300 Wohnungen, Gastronomie, Handel und Hotellerie entstanden: das Hansator. Es setzt eine städtebauliche Klammer zur der Innenstadt zugewandten Bahnhofsseite und gilt als Leuchtturmprojekt für eine vorausschauende Stadtentwicklung. NRW.URBAN und BEG haben die Aktivierung der Bahnhofsostseite von Beginn an begleitet. Das erfolgreiche Projekt spiegelt die DNA der zusammengerückten Unternehmen ebenso wider wie die Leitlinien des Landes. Das NRW.URBAN-Journal sprach am Rande der feierlichen Eröffnung im August 2022 mit Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, und mit Henk Brockmeyer, Geschäftsführer von NRW.URBAN und BEG, über das, was Stadt- und Raumplanung der Zukunft ausmacht und darüber, welche Vision beide antreibt und motiviert.

Klimawandel, Energiewende, nachhaltiges Bauen und digitale Transformation: In Zeiten, in denen viel Vertrautes neu ausgerichtet werden muss, steigt die Bedeutung von Werten, gemeinsamen Leitlinien und Haltungen als Kompass durch das Neuland. Für wie wichtig halten Sie da den Themenkomplex Identifikation und Werte?

Ina Scharrenbach: Gemeinsame Werte halten eine Gesellschaft zusammen. Sie sind identifikationsstiftend, verbindend – kurzum: schaffen Heimat.

Die Beschäftigten von NRW.URBAN haben im vergangenen Jahr in einem partizipativen Prozess herausgearbeitet, was ihre gemeinsame DNA prägt, und haben sich auf Leitlinien verständigt, zu denen sich ausnahmslos alle bekannt haben. „Gemeinsam lebendige Räume schaffen“ ist die Essenz. Eine Lösung, die den Kern trifft?

Ina Scharrenbach: Unsere Landestochtergesellschaft NRW.URBAN steht den Städten und Gemeinden zur Seite, um im partnerschaftlichen Verhältnis Service, Unterstützung und Know-how in allen Aufgabenbereichen der Landes- und Stadtentwicklung – von der Flächenaktivierung
über die Baulandentwicklung bis zur Projektrealisierung – zu bieten. Auf Augenhöhe und je nach spezifischem kommunalem Bedarf: Das ,Gemeinsame‘ an den Anfang zu stellen, finde ich daher als Leitmotiv passend gewählt.

Ina Scharrenbach und Henk Brockmeyer am Hansator Münster, Fotograf: Franklin Berger
Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, und Henk Brockmeyer, Geschäftsführer von NRW.URBAN und BEG, beim Interviewtermin in Münster.

Gemeinsame Werte halten eine Gesellschaft zusammen. Sie sind identifikationsstiftend, verbindend – kurzum: schaffen Heimat.

Ina ScharrenbachMinisterin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen
Hansator Münster, Fotograf: Franklin Berger
Die neue, zweite Vorderseite macht den Hauptbahnhof zu einem vollwertigen Teil der Stadt Münster.

Brachflächen in lebendige Räumen zu verwandeln, ist auch eines Ihrer Anliegen. Dazu haben Sie die Initiative „Bau.Land.Leben“ ins Leben gerufen. Wie hilft die Initiative?

Ina Scharrenbach: Mit der Nordrhein-Westfalen-Initiative Bau.Land.Leben werden Flächen gewonnen und entwickelt. Die Verfügbarkeit von Grundstücken ist ein wesentlicher Faktor, um mehr Wohnraum, Industrie, Gewerbe und/oder Natur- und Freiflächen verwirklichen zu können. Beratungs- und Unterstützungsangebote richten sich an Kommunen, aber auch an Grundstückseigentümerinnen und -eigentümer. Mit Bau.Land.Leben bündelt das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung alle Unterstützungsangebote, Initiativen und Aktivitäten zur Mobilisierung von Bauland. Unsere Unterstützungsangebote bieten für jede Phase die passende Lösung. So machen wir aus Brachflächen Bauflächen.

Das Großprojekt zur Entwicklung der Ostseite des Münsteraner Hauptbahnhofs, dem Hansator, ist also ein Vorhaben, aus dem wir die DNA von NRW.URBAN – und BEG – gut ablesen können?

Henk Brockmeyer: Absolut – hier haben wir unsere Stärken und Überzeugungen von Beginn an einbringen können: Wir haben im Dialog mit zahlreichen Akteuren die komplexen Liegenschaftsthemen geregelt, konnten einen Rahmen und konzeptionelle Leitplanken hoher städtebaulicher Qualität für den Investorenwettbewerb setzen und so daran mitwirken, im Herzen einer Stadt ein neues Tor zu schaffen. Indem hier nun Stadt und Schiene vereint und Barrieren abgebaut wurden, konnten alle Projektbeteiligten dem ganzen Quartier eine neue Visitenkarte geben. Das ist es, was wir tagtäglich schaffen und erschaffen möchten. Das ist es, was uns antreibt.

Bahnhöfe spielen für die Stadtentwicklung also eine besondere Rolle?

Henk Brockmeyer: Sie sind sogar so etwas wie der Nukleus der Stadtentwicklung. Vor 120 Jahren wurden Bahnhöfe noch wie Kathedralen gebaut. Warum? Sie repräsentierten die Stadt, waren Orte des Ankommens und Abschiednehmens, um sie herum entstanden lebendige Viertel des Handels. Viele städtische Bahnhöfe verkamen im Laufe der Jahrzehnte zu einer Reihe von
Bahnsteigen, die man zum Reisen benutzt, das Bahnhofsviertel wurde nicht selten zu einem Synonym für etwas Verruchtes. Wir möchten Bahnhöfe wieder zu ‚Mikrostadtzentren‘ machen – für jeden zugänglich, als Einladung, den Schienenverkehr zu nutzen, mit attraktiven Handels- und Dienstleistungsangeboten, als Impulsgeber für Lebensqualität – also als ein in jeder Hinsicht verbindendes Element.

Das zeigt deutlich, dass öffentliche Räume und Infrastrukturen eine hohe gesellschaftliche Bedeutung haben. Was können Städte und Gemeinden tun, um sich Handlungsspielraum zu verschaffen und sich nicht abhängig von privaten Investoren zu machen?

Henk Brockmeyer: Boden, Klima, Mobilität – diese drei Themenbereiche haben für die Stadtentwicklung immens an Bedeutung gewonnen. Es sind die drängenden Themen unserer Zeit, die wir auf keinen Fall ausschließlich privaten Entwicklern überlassen wollen. Aus Überzeugung und mit über Jahre gewachsenem Know-how will NRW.URBAN Städte und Gemeinden dabei unterstützen, sinnvolle und effektive Maßnahmen umsetzen zu können.

Ina Scharrenbach bei der Eröffnungsfeier des Hansators Münster, Fotograf: Franklin Berger

Was können das für Maßnahmen sein?

Henk Brockmeyer: Das reicht von Unterstützungsinstrumenten für die Baulandgewinnung
aus dem Bau.Land.Leben-Programm der Landesregierung über die frühzeitige Berücksichtigung von Klimaschutz und -anpassungsbelangen im Planungsprozess bis zu intelligenten Verknüpfungen
von Siedlungsstrukturen und Mobilitätsangeboten. Wenn NRW.URBAN bei kommunalen Projekten involviert wird, wird es immer auch um sozial gerechtes, klimaangepasstes und ressourcenschonendes Wohnen und Arbeiten gehen …

Gebäude klimaangepasst neu zu bauen und neu entstehende Quartiere zum Beispiel mit blau-grünen Infrastrukturen zu planen, eröffnet viele Möglichkeiten. Im Bestand und bei der Sanierung von Stadtquartieren ist das komplizierter. Wie kann die Landesregierung hier unterstützen?

Ina Scharrenbach: Die Modernisierungsförderung des Landes Nordrhein-Westfalen – als Teil der öffentlichen Wohnraumförderung – ist seit dem Jahr 2018 zu einem Motor für pragmatischen Klimaschutz und Sicherung von bezahlbaren Mieten geworden. Mittlerweile sind landesweit 33 Projekte in der Umsetzung. Mit der Neuaufstellung der Modernisierungsoffensive im Rahmen der öffentlichen Wohnraumförderung wurde erstmals auch erhoben, wie viel CO2 mit den Modernisierungsmaßnahmen eingespart wird: Seit 2019 sind dies jährlich rund 24.500 Tonnen CO2 gegenüber dem jeweiligen Vorzustand. Die öffentliche Wohnraumförderung in Nordrhein-Westfalen fördert seit 2021 ambitionierte Energiekennzahlen mit einem Bonus. Mit der aktuellen ‚Modernisierung 2022‘ hat die Landesregierung die Konditionen weiter verbessert: Unter anderem wurde der Darlehenshöchstbetrag von 120.000 Euro auf 150.000 Euro je Wohneinheit angehoben. Damit wird den erheblichen Baukostensteigerungen und den aktuellen Investitionsunsicherheiten aufgrund der Entscheidungen der Bundesregierung zur Förderung von energieeffizientem Bauen
Rechnung getragen. Außerdem bieten wir mit dem Landesleitfaden ‚Prima.Klima.Wohnen‘ als digitales Beratungsinstrument Hilfestellungen zur energetischen Quartierserneuerung an.

Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster (2.v.l.), begrüßte Ministerin Ina Scharrenbach (3.v.l.), Henk Brockmeyer, Geschäftsführer von NRW.URBAN und BEG (l.) und Jens Kreiterling, Vorstand der Landmarken AG, zum Festakt.
Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster (2.v.l.), begrüßte Ministerin Ina Scharrenbach (3.v.l.), Henk Brockmeyer, Geschäftsführer von NRW.URBAN und BEG (l.) und Jens Kreiterling, Vorstand der Landmarken AG, zum Festakt.

NRW.URBAN kann bereits eine Reihe von Projekten vorweisen, bei denen Klima und Energie im Quartier eine wichtige Rolle spielen. Können Sie einige anschauliche Beispiele nennen?

Henk Brockmeyer: NRW.URBAN begleitet klassische Klimaschutzprojekte im Rahmen der Stadtentwicklung, zum Beispiel Renaturierungen von Gewässern, die auch dem Hochwasserschutz dienen, oder die Gestaltung von ökologischen Ausgleichsräumen wie Parks oder Freiflächen. Beim
Neubau von Quartieren werden zunehmend Quartiersgaragen, künstliche Bachläufe oder Dachbegrünungen verwirklicht. Energetische Sanierungen im Bestand stellen auch unsere Planerinnen und Planer immer wieder vor Herausforderungen. Zum einen müssen wir uns mit den Städten meist erst einmal einen Überblick verschaffen, was in einem Quartier notwendig und möglich ist, zum anderen geht es häufig auch darum, Bürgerinnen und Bürger für das Thema zu sensibilisieren und für Eigentümerinnen und Eigentümer Anreize zu schaffen, in eine energetische Sanierung zu investieren.

Da ist dann die Stärke von NRW.URBAN gefragt, als neutrale kompetente Stelle von außen diese Prozesse zu moderieren …

Henk Brockmeyer: Genau, kreative Beteiligungsprozesse sind inzwischen Standard, wenn wir Projekte begleiten. Wir schaffen Grundlagen, die zur Diskussion gestellt werden können oder als Entscheidungsbasis dienen. Wir bringen unsere Kompetenz aber auch ein, wenn es um vorbereitende Untersuchungen geht. In Dortmund hat NRW.URBAN zum Beispiel drei Nordstadtquartiere mit insgesamt 5.500 Bestandsgebäuden intensiv unter die Lupe genommen.
Hier in Münster geht es um eine neue Quartiersentwicklung auf einem spannenden Areal an der Kanalkante. Bei beiden Projekten stehen wir mit Bürgerinnen und Bürgern in einem regelmäßigen und intensiven projektbegleitenden Austausch.

Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster begrüßte Ministerin Ina Scharrenbach und Jens Kreiterling, Vorstand der Landmarken AG, zum Festakt.

Welche Instrumente hat das Land NRW konzipiert, um zukunftsfähige integrierte Siedlungs- und Mobilitätsentwicklungen in Städten und ländlichen Regionen zu ermöglichen?

Ina Scharrenbach: Mit der Kooperativen Baulandentwicklung nehmen wir genau
das in den Blick. Denn eine Förderbedingung ist, dass die neuen Baugebiete verlässlich an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen sind. Mit dem Landesprogramm ‚Bauland an der Schiene‘
verknüpfen wir zudem die Stärkung des öffentlichen Verkehrs direkt mit wirkungsvollen Instrumenten zur Baulandgewinnung. Und wie wichtig eine kluge Verknüpfung von Mobilitätskonzepten und Quartiersentwicklungen ist und wie gut klar durchdachte Konzepte aufgehen können, das zeigt sich am Projekt ‚Hansator‘ in Münster.

Die Vorteile der Digitalisierung werden auch bei den Bauleitplänen in Kommunen genutzt. Ab dem 1. Februar 2023 ist der vom IT-Planungsrat der Länder und des Bundes auf den Weg gebrachte Austauschstandard „XPlanung“ verbindlich anzuwenden. Was hat es damit auf sich?

Ina Scharrenbach: Mit der Digitalisierung von Bauleitplänen lässt sich die kommunale
Flächenplanung optimieren. Das spart Kommunen Zeit und Geld. Das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung unterstützt Kommunen: Wer seine Bauleitpläne digitalisieren möchte, kann einen 50-Prozent-Zuschuss erhalten. Darüber hinaus haben wir die Rahmenvertragsinitiative gestartet und NRW.URBAN mit der Durchführung beauftragt: Durch den Abschluss eines Rahmenvertrages mit NRW.URBAN können Kommunen auf alle hierfür zur Verfügung stehenden Rahmenvertragspartnerschaften zugreifen. Damit werden vor allem Ressourcen bei den Ausschreibungs- und Vergabeverfahren eingespart. Und: Schließlich erfolgen sowohl die Wahl der Vertragspartner, die Antragstellung sowie großenteils das Förderverfahren digital. Damit können Kommunen wichtige Schritte in Richtung XPlanungs-Standard, der ab 1. Februar 2023 verbindlich anzuwenden ist, gehen.

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