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BeitragJournal 1/2025Projektmanagement

Ein nachhaltiges Wohngebiet in Wickede (Ruhr) – Ein Jahrhundertprojekt

By 5. Mai 2025Mai 6th, 2025No Comments11 Minuten Lesezeit
Nachhaltiges Wohnen in Wickede (Ruhr)
Fotos: Christoph Kniel

Zwei Bagger mit Hydraulikmeißeln knabbern sich durch eine 20.000 Quadratmeter große versiegelte Fläche in der Ortsmitte von Wickede. Bahnhof und Rathaus befinden sich in Sichtnähe, ein Nahversorgungszentrum und Wohnsiedlungen schließen direkt an die Fläche an. Baustellenlärm! Was andernorts für Unmut sorgen könnte, löst in der Gemeinde am westlichen Rand des Sauerlands Freude aus: Endlich geht es los! Nach Jahrzehnten des Brachliegens beginnt eine Flächenentwicklung für ein modernes, nachhaltiges Wohnquartier in bester Lage – Anlass für einen Ortstermin mit allen Projektbeteiligten auf der Baustelle.

„Das ist ein bedeutendes Zukunftsprojekt für unsere Gemeinde, sozusagen ein Jahrhundertprojekt“, sagt Bürgermeister Dr. Martin Michalzik. Entstehen werden auf der Fläche circa 70 kleine und mittlere Wohnungen, 30 Prozent davon öffentlich gefördert. Die Häuser sollen nach neuesten ökologischen Gesichtspunkten gebaut und energetisch versorgt werden. Geplant sind barrierearme und zum Teil barrierefreie Wohnungen, städtebaulich anspruchsvoll in drei- bis viergeschossigen Wohnkomplexen – das alles eingebettet in eine Freiraumplanung mit großzügigen Grünflächen, renaturiertem Bachlauf und Verbindung zum Bernhard-Bauer-Park.

Nachhaltiges Wohnen in Wickede (Ruhr)
Das Drohnenbild zeigt die integrierte Lage des zukünftigen Wohnquartiers nahe der Bahngleise.

Wohnen in einer 1a-Lage

Jens Korte, stellvertretender Fachbereichsleiter Planen, Bauen, Umwelt bei der Gemeinde Wickede: „Aus der Vogelperspektive erschließt sich die Attraktivität der Fläche: Das Baugebiet liegt mitten im Ortskern, denn die Gemeinde ist einst um die Industrie herum gewachsen.“

Rückblende: Was befand sich hier eigentlich zuvor, bevor die Fläche brachfiel? Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckte die Stahlindustrie die Lage nahe der Ruhr für sich. Zuletzt beschäftigte der Mannesmann-Konzern hier in einem Röhrenwerk rund 2.000 Menschen. Dr. Martin Michalzik: „1906 begann an diesem Standort die Stahlproduktion, in den 1990er Jahren fand sie ihr Ende – ein Einschnitt, der dem Strukturwandel im Ruhrgebiet in nichts nachsteht.“ Wickede zählt rund 12.000 Einwohnerinnen und Einwohner, das Röhrenwerk war der größte Arbeitgeber für die Gemeinde. Neue Arbeitsplätze entstanden, allerdings nicht in der Ortsmitte, sondern in Ortsrandlage in einem Gewerbegebiet auf dem Berg. Dr. Martin Michalzik: „Jetzt wollen wir hier im Tal für die nächsten 100 Jahre Wohnraum schaffen.“ Denn der Wohnraumbedarf in Wickede steigt, vor allem kleinere und mittlere Wohnungen sind gefragt. Interessierte kommen zunehmend auch aus den nahen Großstädten Dortmund und Hagen. Singles oder Paare interessieren sich weniger für ein Eigenheim als für eine attraktive zentral gelegene Wohnung, Ältere möchten sich verkleinern und nicht mehr am Hang wohnen. Genau für diese Zielgruppen entsteht auf dem ehemaligen Mannesmann-Gelände der richtige Wohnraum.

Die Wünsche der Gemeinde für die ehemalige Werksfläche konkretisierten sich bereits in den 2010er Jahren, doch erst in den Jahren 2016 und 2017 konnte die Gemeinde die Flächen von den Voreigentümern erwerben und in erste Planungen einsteigen. Das Interesse von Investoren, die Fläche zu sanieren und zu bebauen, blieb allerdings aus. Im Dezember 2021 eröffnete schließlich die Landesinitiative Bau.Land.Leben neue Perspektiven. Ende 2021 unterzeichneten Bürgermeister Dr. Martin Michalzik und Ministerin Ina Scharrenbach die Zielvereinbarung zwischen Land NRW und der Gemeinde Wickede für eine Kooperative Baulandentwicklung. Seitdem unterstützt ein interdisziplinäres Team von NRW.URBAN die Gemeinde bei der Freiraumplanung, dem Bau einer Lärmschutzwand und der damit verbundenen Kommunikation mit der DBInfraGO (ehemals Deutschen Bahn AG), bei der Erschließung des Gebietes und bei der Vermarktung der Wohnflächen inklusive eines Investorenwettbewerbs.

Die Investorensuche der 2010er-Jahre hat gezeigt, dass es sinnvoll ist, mit einem baureifen Gelände in die Vermarktung zu gehen. Die Vornutzung des Geländes erfordert zunächst eine gründliche Sanierung, für die eine aufwändige Planung erforderlich war. Hier kommt ein wichtiger Partner für das Flächenrecycling ins Spiel: der AAV – Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung. Der AAV übernimmt nicht nur das gesamte Projektmanagement für die Sanierung, das die Untersuchungen, Planungen der notwendigen Maßnahmen sowie die Altlastensanierung und Flächenaufbereitung umfasst, sondern trägt auch 80 Prozent der Kosten für die Sanierung und Aufbereitung der Fläche. Dadurch verringert sich der Anteil der Gemeinde an den Baumaßnahmen auf 1,1 Millionen Euro.

Je älter die Standorte sind, desto weniger Informationen liegen uns meist auch zu möglichen Altlasten und zur Bodenbeschaffenheit vor.

Nils SkubeckasProjektleiter beim AAV – Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung
Nachhaltiges Wohnen in Wickede (Ruhr)

Überraschungen im Verborgenen

Nils Skubeckas, Projektleiter beim AAV, erläutert: „Je älter die Standorte sind, desto weniger Informationen liegen uns meist auch zu möglichen Altlasten und zur Bodenbeschaffenheit vor. Wir haben uns akribisch durch die Unterlagen der Gemeinde Wickede gearbeitet und besondere Verdachtspunkte herausgearbeitet. Zu erwarten sind typische Verunreinigungen mit Mineralölkohlenwasserstoffen (MKW) und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK).“ Die Expertinnen und Experten vom AAV konnten vier unterschiedlich große MKW-Belastungsbereiche identifizieren, dort werden Verunreinigungen bis zu einer Tiefe von zwei bis sieben Metern vermutet. Der Boden wird nun ausgekoffert, der Aushub beprobt und labortechnisch untersucht. Je nach Einstufung wird das Material auf Deponien entsorgt oder wiederverwertet. In den tieferen Zonen wird ein Gleitschienenverbau eingesetzt. Dieser auf vertikalen Schienen in die Erde versenkbare Verbau verhindert, dass von den Wänden einer Aushubstelle Erde und zerkleinertes Baumaterial nachrutscht und ermöglicht ein effektives und gefahrloses Arbeiten. Nils Skubeckas: „Das Niveau der Fläche wird am Ende circa 70 Zentimeter tiefer liegen als bisher, die sanierte Fläche kann als erstklassiges Bauland übergeben werden, die Erschließungsarbeiten werden nahtlos beginnen können.“

Mit 20.000 Quadratmeter Fläche handelt es sich beim ehemaligen Mannesmann-Gelände im Vergleich zu anderen Projekten des AAV um eine eher kleine Fläche. Jedoch sind 90 Prozent der Fläche versiegelt und die Ursprünge des Werks liegen um 1900. Die Pläne geben demnach nicht exakt Auskunft über das, was hier im Verborgenen liegt. Nils Skubeckas: „Letztendlich ist es immer eine Art Wundertüte, was uns erwartet. Es wird mit Sicherheit auch noch den einen oder anderen Wow-Effekt bei diesem Projekt geben, wir sind bestmöglich darauf vorbereitet – durch Vorgutachten und den Sanierungsplan, den ein Gutachterbüro für uns erstellt hat.” Der Plan sieht vor, im August 2025 grünes Licht für die Erschließungsarbeiten geben zu können.

Nachhaltiges Wohnen in Wickede (Ruhr)

Kooperative Baulandentwicklung

Diesem Augenblick fiebert nicht nur die Gemeinde Wickede entgegen, auch das Team von NRW.URBAN ist gespannt, wie sich das Gebiet nach Auswertung des Investoren-Wettbewerbs entwickeln wird. Als landeseigene Gesellschaft unterstützt NRW.URBAN die Gemeinde im Rahmen der Kooperativen Baulandentwicklung bei der Projektkoordination und hat in enger Abstimmung mit der Gemeinde die Entwürfe für die Freiraumplanung und die Vorgaben für ein konzeptionelles Vergabeverfahren sowie erste Vermarktungsschritte bereits erarbeitet. Dank des Erfahrungsschatzes und der guten Kontakte von NRW.URBAN zur DBInfraGO konnte im Vorfeld zudem ein vermeintliches Entwicklungshemmnis schnell beseitigt werden. NRW.URBAN-Mitarbeiter Olaf Doll, der über seine langjährige Tätigkeit bei der BEG – BahnflächenEntwicklungsGesellschaft wertvolle Erfahrungen ins NRW.URBAN Team einbringt, ebnete den Weg für Abstimmungs- und Zustimmungserfordernisse zum Bau der Lärmschutzwand entlang der Bahnstrecke. „Die Kommunikation mit den Unternehmen der DBInfraGO ist oft langwierig, da es sich um einen großen, komplexen Konzern handelt. In diesem Fall konnte ich schnell Kontakt zu den richtigen Ansprechpersonen herstellen und alle Fragen bezüglich der Nachbarschaft zur Bahnfläche, insbesondere zum Bau der Lärmschutzwand klären.“ Das Kuriose: Die Auflagen der Deutschen Bahn waren zunächst teilweise so formuliert, als sei die Strecke elektrifiziert. Olaf Doll: „Da hier keine Oberleitungen verlaufen, war schnell klar, dass die Restriktionen sich reduzieren.“ Inzwischen arbeiten NRW.URBAN und die Gemeinde Wickede sehr konstruktiv mit der DBInfraGO zusammen. Die DBInfraGO schlug sogar vor, den Sachverhalt einer Abstandsflächenbaulast über eine einfache Vereinbarung zu regeln, was den Abstimmungsprozess hierzu sehr beschleunigen wird.

Nachhaltiges Wohnen in Wickede (Ruhr)
Das Projektteam tauscht sich auf der Baustelle aus.

Die Freiraumplanung schafft ein grünes Rückgrat für das neue Wohngebiet, sie sieht eine grüne Pufferzone zur Lärmschutzwand und zur Bahnlinie vor. Es wird einen großen Spielplatz sowie Bewegungsund Spielmöglichkeiten für alle Generationen ebenso wie Erholungs- und Rückzugsmöglichkeiten geben. Ein renaturierter Wasserlauf mit Retentionsflächen wird durch das Gebiet mäandern, der Lanferbach, der ursprünglich zum Teil unterirdisch durch Rohre lief. Totholzelemente schaffen Räume, in denen sich selten gewordene Arten wieder ansiedeln können. Alle Rahmenbedingungen für eine Förderung nach der Wasserrahmenrichtlinie sind erfüllt. Lena Masanek, Landschaftsplanerin vom Bereich Planung | Steuerung | Bau bei NRW.URBAN: „Wir wollen den Raum erlebbar machen, für die Anwohnerinnen und Anwohner aus dem neuen Quartier, aber auch für die Wickeder aus den angrenzenden Vierteln. Klima-Resilienz und Hochwasserschutz ist für uns inzwischen bei allen Projekten ein wichtiges Thema.“

Martina Gut, Projektleiterin bei NRW.URBAN, hat gemeinsam mit der Gemeinde Wickede die Kriterien für den Investorenwettbewerb ausgearbeitet: „Wir sind gespannt, welche Ideen kommen und wie sich unsere Vorgaben in den Konzepten wiederfinden.“ Nachhaltiges Bauen und die Verwendung ressourcenschonender Baumaterialien sollten ihrer Meinung nach selbstverständlich sein. Spannend werden Entwürfe, die das Konzept der urbanen Kreislaufwirtschaft weiterdenken, die den Lebenszyklus bestehender Materialien und Produkte durch Recycling, Wiederverwendung, Reparaturen aber auch durch Teilen berücksichtigen. Eine weitere Vorgabe schreibt die Anbindung des Gebiets an eine Versorgung mit regenerativen Energien vor. Martina Gut: „Den Investoren wird dabei freigestellt, welche Form der regenerativen Energieversorgung sie umsetzten.“

Nachhaltiges Wohnen in Wickede (Ruhr)

Im Hintergrund rattern die Bagger, eine Regionalbahn saust Richtung Bahnhof an der Fläche vorbei. Nach der Sanierung der Fläche durch den AAV, steht als Erstes der Bau der Lärmschutzwand an. Dann folgen die Renaturierung des Bachs und die Freianlagengestaltung, parallel dazu startet das Investorenverfahren. Voraussichtlich werden Anfang 2026 erste Verträge geschlossen dann kann der ausgewählte Investor mit der Erschließung und dem Hochbau loslegen. Bis zu fünf Jahre wird es wohl noch dauern, bis die ersten Menschen einziehen können.

Nachhaltiges Wohnen in Wickede (Ruhr)

AAV – Zukunft. Auf gutem Grund.

Der AAV ist ein bundesweit einzigartiges Kompetenzzentrum für Flächenrecycling und Altlastensanierung, in dem Land, Kommunen und Wirtschaft partnerschaftlich zusammenarbeiten. Durch ein Landesgesetz 1988 gegründet, beseitigt die unabhängige, selbstverwaltete Körperschaft des öffentlichen Rechts überall dort Altlasten in Boden und Grundwasser, wo ein Verursacher der Verunreinigungen zum Beispiel nicht haftbar gemacht werden kann. So schützt der AAV Menschen und Umwelt vor Gefahren. Und macht zugleich wertvolle, meist attraktiv gelegene und gut erschlossene Flächen neu nutzbar. Damit unterstützt der AAV die Landesregierung wirkungsvoll bei ihrem Ziel, den Verbrauch von Natur- und Freiflächen zu reduzieren. Der Verband ist bei den Projekten, die er für die Kommunen im Land durchführt, in der Regel Maßnahmenträger und bringt neben seinem jahrzehntelangen erworbenen Know-how bis zu 80 Prozent der Finanzierung aus eigenen Mitteln auf. Zusätzlich zu den gesetzlichen Pflichtmitgliedern – dem Land NRW und den Kommunen haben sich dem Verband auf freiwilliger Basis Unternehmen angeschlossen. Sie unterstützen damit die gesamtgesellschaftlich wichtigen Aufgaben des AAV. Und profitieren zugleich von den Erfahrungen und dem Sachverstand des interdisziplinären AAV-Teams, das die Unternehmen rechtlich und fachlich unterstützt.

Unser Auftrag

Hier ist die NRW.URBAN GmbH & Co. KG  tätig für das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen.

Ihre Kontaktperson

Martina Gut, NRW.URBAN

Martina Gut
Projektmanagement

Revierstraße 3,
44379 Dortmund
Tel.: 0231 4341.115

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