Sieht aus wie Schulunterricht, ist aber keiner: Im Gespräch mit Mitarbeitenden des Büros SQUIRREL & NUTS können Kinder und Jugendliche ohne Leistungsdruck ihre Ideen einbringen.
Eschweilers Bürgermeisterin Nadine Leonhardt ist glücklich. Mithilfe von Strukturwandelförderungen von Bund und Land kann die Stadt Eschweiler ein neues Jugendbegegnungszentrum bauen. Damit das auch so wird, wie Kinder und Jugendliche es sich wünschen, beteiligt die Kommune junge Menschen am Planungsverfahren. Die Bürgermeisterin betont: „Es ist uns wichtig, die Stimmen der Kinder und Jugendlichen unserer Stadt zu hören und sie aktiv in die Gestaltung ihres zukünftigen Treffpunkts einzubeziehen. Gemeinsam schaffen wir einen Raum, der ihren Bedürfnissen entspricht und ein Ort der Begegnung, des Austauschs und der Kreativität wird.“
Auf dem ehemaligen Sportgelände „Indestadion“ in Eschweiler, das von der Flutkatastrophe vor wenigen Jahren betroffen war, soll ein Jugendbegegnungszentrum entstehen, das Raum für Freizeit- und Bildungsangebote sowie Beratungsdienste und interkulturelle Veranstaltungen bietet und dabei das Thema hochwasserangepasstes und nachhaltiges Bauen berücksichtigt. Geplant wird nicht nur für die jungen Menschen, sondern mit ihnen. Nadine Leonhardt: „Es ist uns wichtig, die Stimmen der Kinder und Jugendlichen unserer Stadt zu hören und sie aktiv in die Gestaltung ihres zukünftigen Treffpunkts einzubeziehen.“
Gemeinsam mit der Stadt Eschweiler hat NRW.URBAN ein maßgeschneidertes Jugendbeteiligungsverfahren konzipiert und ausgeschrieben.



Moderne Konzepte der Jugendbeteiligung
Eine Agentur hat mit ihrem Konzept die Jury besonders überzeugt. Die Perspektiven von rund 1000 Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden nach Beendigung des Beteiligungsverfahrens die Basis für die räumlichen Planungen liefern. Erik Flügge vom Büro SQUIRREL & NUTS: „250 Kinder und Jugendliche haben wir bereits befragt.“ Das Land Nordrhein-Westfalen hat sich im Gegensatz zu anderen Bundesländern schon früh bemüht, junge Menschen an politischen Prozessen zu beteiligen. Insgesamt existieren derzeit über 80 Kinderund Jugendgremien und ein Kinder- und Jugendrat Nordrhein-Westfalen. „Leider haben die Verantwortlichen versäumt, neue modernere Konzepte zu entwickeln, die Kinder und Jugendliche dort abholen, wo ihre Lebenswelt direkt betroffen ist“, erläutert Erik Flügge. Ein solches Konzept setzt die Stadt Eschweiler jetzt um.
Daniel Sieveke, Staatssekretär im Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, ist selbst Vater von 14-jährigen Zwillingen und überzeugt, dass die Jugendbeteiligung in dieser Form ein hervorragender Weg ist, auf Augenhöhe mit den Wünschen und Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen umzugehen: „So wird ein Begegnungsort entstehen, der von Kindern und Jugendlichen und für sie entwickelt wird. Vorhaben wie dieses zeigen, dass das Stadtentwicklungsprogramm ‚Rheinisches Revier der Zukunft‘ und die Landesgesellschaft ‚Starke Projekte GmbH‘ einen verlässlichen Werkzeugkasten bereithalten, der die Städte und Gemeinden im Rheinischen Revier gewinnen lässt.“
Das Büro SQUIRREL & NUTS hält die Vorschläge der jungen Menschen direkt in sogenannten Graphic Recordings fest.
Kindern und Jugendlichen eine Stimme geben
Aber was macht das Verfahren so besonders und innovativ? Das Team von SQUIRREL & NUTS besucht Kinder und Jugendliche in ihren Schulklassen. So beziehen sie nicht nur die jungen Menschen ein, die bereits ein politisches Interesse entwickelt haben, sondern alle, die gerade Unterricht haben. Geschäftsführerin Denise Abé erläutert: „Wir machen dann direkt deutlich, dass unsere Aktionen kein Unterricht sind, dass das Mitwirken nicht benotet wird und Kritik durchaus willkommen ist. Alle dürfen ihre Wünsche äußern.“ Die Präsenz in den Schulen und das gemeinsame Gespräch seien dabei wesentlich für den nachhaltigen Erfolg der Jugendbeteiligung. Denn nur wenige Kinder und Jugendliche hätten bisher in ihrem Leben positive Erfahrungen mit politischen Beteiligungsverfahren gemacht. Erik Flügge: „Viele wissen nicht, dass sie auch eine Stimme haben und Erwachsene sie wirklich ernst nehmen.“
Ulrike Holtel und David Liepold, Projektleiter bei NRW.URBAN, sind über die Starke Projekte GmbH für die Stadt Eschweiler tätig. Sie haben das Team für das Projekt in Eschweiler zusammengebracht. Gemeinsam mit Mitarbeitenden aus dem Planungsamt, von der Wirtschaftsförderung, der Jugendhilfe und vom Wasserverband haben sie die Ausschreibungskriterien für die Jugendbeteiligung entwickelt.
”Viele Jugendliche wissen nicht, dass sie auch eine Stimme haben und Erwachsene sie wirklich ernst nehmen.
Erik FlüggeBüro SQUIRREL & NUTS

Fotos: Frank Vinken

Graphic Recordings reduzieren Komplexität
Erste Zwischenergebnisse der Beteiligungsrunden präsentierte das Team nun im Rahmen eines Austausch- und Pressetermins. Die Kinder und Jugendlichen erläuterten die entstandenen Zeichnungen und ihre Ideen im Format eines „Gallery Walk“. Erik Flügge und Denise Abé arbeiten mit sogenannten Graphic Recordings – also mit Zeichnungen und Stichworten, die die Vorstellungen der Kinder und Jugendlichen bildhaft darstellen. Diese kreativen Visualisierungen sorgen dafür, dass komplexe Ideen auf einen Blick sichtbar und nachvollziehbar werden. In den Schulklassen diskutieren sie mit den Kindern und Jugendlichen Wünsche, Ideen und entfachen die Fantasie. Auch während des Gallery Walks sind die Schülerinnen und Schüler mit Eifer bei der Sache. „Wie sieht denn ein perfekter Ort für euch aus?“, lautet eine der Fragen. Das Projekt hat den Blick der jungen Menschen auf das Gemeinsame und Nachhaltige gestärkt. Einer der jungen Teilnehmer fasst zusammen: „Wenn nur ich allein mir etwas wünsche, ist das nichts für ein Jugendzentrum für alle.“ Schwieriger wird es, die Zeitdimension eines Planungsprojekts zu vermitteln. Voraussichtlich wird die Fläche erst 2029 für den Bau freigegeben. Wie können die Schülerinnen und Schüler reflektieren, dass ihre Ideen auch in fünf oder zehn Jahren noch Kinder und Jugendliche begeistern sollen? Erik Flügge arbeitet mit Beispielen: „Könnt ihr euch noch an den Bubble-Tea-Hype erinnern? Meint ihr, dass es wichtig ist, einen Bubble-Tea-Laden auf dem Gelände zu planen?“ Die Antwort geben gleich drei Kinder gleichzeitig: „Nö, natürlich nicht. Ist doch längst wieder out.“
Während der Projektstunden füllt sich nach und nach ein großes Poster mit Piktogrammen, Schlagworten und Verbindungspfeilen. Stichworte wie Kino, Bibliothek, Gratis-W-LAN oder Musikproberaum sind da zu lesen, aber auch Begriffe wie Hochwasserschutz, Brandmeldeanlage oder Helikopter-Landeplatz. Daran wird deutlich, dass Kinder und Jugendliche in Eschweiler verarbeiten, was sie mit der Flut erlebt haben, und dass diese Erfahrungen ein großes Sicherheitsbedürfnis ausgelöst haben.
Tanja Fischer: „Das Team von Bau.Land. Partner hatte zum Metten-Gelände eine stichprobenartige Marktabfrage durchgeführt. Diese zeigte, dass der Standort zwar von vielen Investoren als interessant, letztendlich aber aufgrund fehlender Sachgutachten wirtschaftlich als zu risikoreich eingeschätzt wurde.“
So geht der Prozess weiter
Aus den Bildern, Mustern und Wiederholungen filtern die Expertinnen und Experten von SQUIRREL & NUTS nun Dominanzen heraus und verschriftlichen die Erkenntnisse, um sie dem Planungsbüro SozialGestalten zur Verfügung zu stellen, das die Raumbedarfe ermittelt. Daraus wiederum entstehen Zahlenwerke und Vorgaben für einen Architekturwettbewerb.
David Liepold von NRW.URBAN: „Die Jugendbeteiligung schließt im Sommer ab, die Bedarfsplanung im Herbst, im nächsten Jahr startet dann der Hochbauwettbewerb.“ Dann wird auch die Expertise von NRW.URBAN wieder gefragt sein, wenn es um die Kriterien und die Durchführung der Ausschreibung geht. „Mit diesen ineinandergreifenden Verfahren sorgen wir nicht nur für die räumlichen Grundlagen, sondern vor allem dafür, dass Menschen – in diesem Fall besonders die Jugend – ihre Vorstellungen einbringen können. So wird das neue Zentrum nicht nur ein Bauwerk, sondern ein lebendiger Treffpunkt mit starker Identität“, ergänzt Henk Brockmeyer, Geschäftsführer NRW.URBAN und verantwortlich für die Starke Projekte GmbH.




Wissenswertes
Die Starke Projekte GmbH spielt eine Schlüsselrolle in der Unterstützung der Städte und Gemeinden im Rheinischen Revier, insbesondere durch Beratung, Qualifizierung von Projekten, Beschaffung von Studien und Gutachten sowie Fördermittelmanagement. Dieses Engagement ist Teil des umfangreichen Programms zur Stadtentwicklung der Zukunft im Rheinischen Revier (STEP RR), das vom Land Nordrhein-Westfalen initiiert wurde, um den durch den Kohleausstieg bedingten Strukturwandel positiv zu gestalten. Die Initiative soll einfache Verfahren und schlanke Prozesse ermöglichen und den Kommunen ermöglichen, jederzeit Förderanträge für Einzelmaßnahmen zu stellen, wodurch ein flexibler Rahmen für die Stadtentwicklung geschaffen wird.


Ansprechpartnerin

Ulrike Holtel
Konzepte | Entwicklung
Fritz-Vomfelde-Straße 10,
40547 Düsseldorf
Tel.: 0211 54238.232