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BeitragInterviewJournal 2/24

Zukunftsperspektiven für den Standort Frimmersdorf – Technologie und Innovationen den Boden bereiten

By 4. Oktober 2024No Comments11 Minuten Lesezeit
Stefan Diezmann, RWE Power, Prof. Dr. Christiane Hellmanzik von der TU Dortmund, NRW.URBAN-Geschäftsführer Ludger Kloidt und Markus Dietrich, RWE Power AG, (v.l.n.r.) im Treppenhaus des Verwaltungsgebäudes vom Kraftwerk Frimmersdorf
Stefan Diezmann, RWE Power, Prof. Dr. Christiane Hellmanzik von der TU Dortmund, NRW.URBAN-Geschäftsführer Ludger Kloidt und Markus Dietrich, RWE Power AG, (v.l.n.r.) im Treppenhaus des Verwaltungsgebäudes vom Kraftwerk Frimmersdorf

Das RWE-Kraftwerk Frimmersdorf im Rheinischen Revier war Anfang der 1970er Jahre das größte Braunkohlekraftwerk der Welt. Eine Einheit der Anlagen, die sich über 1,5 Kilometer Länge und 450 Meter Breite erstrecken, erzeugte zwei Gigawatt Strom. Mit dieser Menge konnten circa acht Millionen Menschen versorgt werden. Seit 1984 wurde das Kraftwerk sukzessive stillgelegt. Wo einst 2.000 Menschen arbeiteten, sind nun noch 140 Mitarbeitende mit der Sicherung und Abwicklung des Standorts beschäftigt. Mit der gemeinsamen Gesellschaft Perspektive.Struktur.Wandel GmbH haben sich RWE Power AG und das Land Nordrhein-Westfalen zum Ziel gesetzt, für den Standort neue Nutzungsperspektiven zu finden. NRW.URBAN-Geschäftsführer Ludger Kloidt tauschte sich mit Prof. Dr. Christiane Hellmanzik vom Lehrstuhl für urbane, regionale und internationale Wirtschaftsbeziehungen an der TU Dortmund über die Zukunftsperspektiven des Standorts und die Bedeutung innovativer Technologieansiedlungen in NRW aus.

Liebe Frau Prof. Hellmanzik, Sie bewegen sich mit Ihren Forschungen an der Schnittstelle zwischen Wirtschaftswissenschaften und Raumplanung. Wo sehen Sie Berührungspunkte zu den aktuellen Entwicklungen im Rheinischen Revier?

Christiane Hellmanzik: Im Fokus unserer Forschungen stehen vor allem Datenanalysen. Wir betrachten zum Beispiel anhand von Kartenmaterial, wo es welche wirtschaftlichen Aktivitäten gibt, und entwickeln Modelle zur Berechnung von ökonomischen Trends oder Agglomerations-Effekten. Unser Team forscht in den Bereichen regionale Disparitäten, regionale Entwicklung, räumliche Verteilung der Wirtschaftstätigkeit, Agglomerationsökonomien, Wissensdiffusion, internationaler Handel mit Waren
und Dienstleistungen sowie Digitalisierung. Das sind alles Themen, die im Rahmen des Strukturwandels hier im Rheinischen Revier diskutiert werden.

Ich habe lange zu Agglomeration geforscht und mich gefragt: Warum verhalten sich Unternehmen häufig wie Hühner, warum hacken alle an einem Ort? Warum ergeben sich Synergien, wenn die Konkurrenz direkt nebenan sitzt? Wie entstehen Lieferketten – vor allem mit Blick auf den internationalen Handel, auf die Globalisierung und im Zeitalter der Digitalisierung?

Ludger Kloidt im Gespräch mit Prof. Dr. Christiane Hellmanzik vom Lehrstuhl für urbane, regionale und internationale Wirtschaftsbeziehungen an der TU Dortmund
Ludger Kloidt im Gespräch mit Prof. Dr. Christiane Hellmanzik vom Lehrstuhl für urbane, regionale und internationale Wirtschaftsbeziehungen an der TU Dortmund
Kraftwerk Frimmersdorf Drohnenaufnahme
Fotos: Christoph Kniel

Von der Theorie zur Praxis, NRW.URBAN begleitet die Transformation im Rheinischen Revier aktiv vor Ort als Gesellschafterin in verschiedenen Gesellschaften. Warum ist NRW.URBAN ein guter Partner?

Ludger Kloidt: Strukturwandel ist immer schon unser Thema, nicht nur im Ruhrgebiet. NRW.URBAN hat die Konversion zahlreicher ehemaliger Militärstandorte begleitet oder Nutzungsperspektiven für stillgelegte Produktionsstätten in allen Regionen Nordrhein-Westfalens mitentwickelt. Die Transformation des Ruhrgebiets von der Montanindustrie hin zu einer modernen Wissens- und Wirtschaftsregion hat uns jedoch in besonderer Form mit Erfahrung und Expertise ausgestattet, wenn es darum geht, den Boden für zukunftsweisende Arbeitsplätze zu bereiten. Wir sind dabei nicht die, die Arbeitsplätze generieren, sondern wir sind diejenigen, die alle vorbereitenden Prozesse anstoßen, damit sich Unternehmen ansiedeln können. Als Landesgesellschaft haben wir darüber hinaus aber auch noch alle weiteren Raumplanungs- und Stadtentwicklungsprozesse im Blick: Wohnraum, Klima-Resilienz, nachhaltige Infrastruktur oder sozialen Zusammenhalt zum Beispiel.

Maschinenhalle des Kraftwerks Frimmersdorf
In der 550 Meter langen Maschinenhalle des Kraftwerks Frimmersdorf bieten 20.000 Quadratmeter Raum für Zukunftstechnologien.

Mit der Internationalen Bau- und Technologieausstellung (IBTA) wird die Erwartungshaltung geschürt, dass sich das Rheinische Revier zu einer modernen, klimaneutralen Energie- und Tech-Region transformiert.

Prof. Dr. Christiane HellmanzikTU Dortmund, Lehrstuhl für urbane, regionale und internationale Wirtschaftsbeziehungen

Das Landeskabinett hat am 25. Juni 2024 beschlossen, die Internationale Bau- und Technologieausstellung (IBTA) in den Jahren 2025 bis 2035 im Rheinischen Revier durchzuführen. Ziel ist es, den Strukturwandel im Rheinischen Revier in ein internationales Schaufenster zu stellen, um die Region zur Marke als klimaneutrale und nachhaltige Industrieregion zu entwickeln. Welche Parallele sehen Sie zur IBA Emscherpark, die in den 1990er Jahren Motor für den Strukturwandel im Steinkohlerevier des Ruhrgebiets war?

Ludger Kloidt: Es ist ein bisschen wie ein Déjà-vu! Natürlich können wir nicht 1:1 das kopieren, was vor 40 Jahren und danach im Ruhrgebiet gut funktioniert hat. Wir befinden uns in einer völlig anderen Region. Aber die Idee, in Beteiligungsprozessen mit der Bevölkerung eine Region neu zu gestalten, das leitet uns auch hier im Rheinischen Revier. Die IBA hat sich an für ihre Zeit innovativen Leitideen orientiert, das wird bei der Internationalen Bau- und Technologieausstellung ebenfalls so sein. Und die Gunst der Erfahrung ermöglicht es uns, gemachte Fehler nicht zu wiederholen.

Welche Fehler? Die IBA gilt doch bis heute als wegweisend und erfolgreich …

Ludger Kloidt: Wir haben es damals versäumt, uns mit den Eigentümern der Flächen und Altstandorte gesellschaftlich zu verbinden. Indem wir im Rheinischen Revier zum Beispiel mit RWE Power gemeinsam die Projektgesellschaft Perspektive.Struktur.Wandel (PSW) gegründet haben, wird vieles einfacher als damals im Ruhrgebiet, von den Bestandsaufnahmen bis hin zur Planung und Entwicklung. Außerdem bleibt ein großer Teil der Verantwortung für die Projekte bei denjenigen, die die Standorte hinterlassen. In verschiedenen Gesellschaften, an denen NRW.URBAN beteiligt ist, bündeln wir die Akteure: die Kommunen, das Land NRW und die RWE Power. Die Projektgesellschaft PSW lotet die Entwicklungspotenziale der ehemaligen RWE-Standorte aus, die Starke Projekte GmbH unterstützt Kommunen bei der Qualifikation von Projektideen.

Wie wichtig ist es, neben den ökonomisch und ökologisch notwendigen Maßnahmen auch ein ideelles Ziel zu verfolgen?

Christiane Hellmanzik: Einen Wandel einzuleiten und diesen auch sichtbar zu machen, ist enorm wichtig. Die Region braucht ein Narrativ, um den Menschen zu vermitteln, wo die Reise hingeht. Mit der Internationalen Bau- und Technologieausstellung (IBTA) wird die Erwartungshaltung geschürt, dass sich das Rheinische Revier von einer traditionsverhafteten Braunkohleregion zu einer modernen, klimaneutralen Energie- und Tech-Region mit einem Vorbildcharakter für Deutschland und Europa transformiert. Dadurch setzen sich alle Beteiligten selbst unter Druck, was Prozesse beschleunigen und Innovationen befördern kann.

Die Nachnutzung des Kraftwerkstandortes Frimmersdorf mit seinen beeindruckenden Industriegebäuden und weitläufigen Außenanlagen beschäftigt aktuell die Landesgesellschaft Starke Projekte GmbH (SP) und die Stadt Grevenbroich.
Die Nachnutzung des Kraftwerkstandortes Frimmersdorf mit seinen beeindruckenden Industriegebäuden und weitläufigen Außenanlagen beschäftigt aktuell die Landesgesellschaft Starke Projekte GmbH (SP) und die Stadt Grevenbroich.

Was macht ein attraktives Unternehmensumfeld für innovative Technologieansiedlungen aus?

Christiane Hellmanzik: Jetzt im Transformationsprozess ist zunächst die Transparenz der Entwicklung von Bedeutung. Eine Region kann sich nicht die Unternehmen aussuchen, die sie ansiedeln möchte. Die Unternehmen suchen sich den Standort aus, der ihnen attraktiv erscheint. Aktuell hat der Aufbruch hier in der Region den Charakter eines Reallabors, Außenstehende sind eingeladen zuzuschauen, wie sich die Region entwickelt. Wenn wir von Arbeitsplätzen reden, sprechen wir ja nicht nur über einen wirtschaftlichen Faktor, sondern über Menschen. Menschen, die ein Privat- und ein Berufsleben haben. Wenn es gelingt, dass die Menschen, die jetzt hier leben, sich weiter mit ihrer Region identifizieren und eine Zukunftsperspektive erkennen und gleichzeitig Menschen aus anderen Regionen die Potenziale, die hier schlummern, erahnen, dann sind auch beste Voraussetzungen geschaffen, dass Tech-Unternehmen sich hier ansiedeln. Denn Fachkräfte sind das A und O jedes innovativen Unternehmens.

Die Idee, in Beteiligungsprozessen mit der Bevölkerung eine Region neu zu gestalten, das leitet uns auch hier im Rheinischen Revier.

Ludger KloidtGeschäftsführer NRW.URBAN
Arbeiter auf dem Gelände des Kraftwerks Frimmersdorf

Hier am Standort Frimmersdorf soll ein Digitalpark entstehen. Ist Digitalisierung das Leitmotiv für die gesamte Region?

Ludger Kloidt: Im Rheinischen Revier ist bereits eine große Anzahl an Arbeitsplätzen weggebrochen, weitere werden in den kommenden Jahren verschwinden. Die Ansiedlung von Microsoft mit zwei Hyperscalern im Rheinischen Revier ist inzwischen in aller Munde. Und natürlich setzt das klare Zeichen in Richtung einer zentralen Digitalregion, die für die Zukunft gerüstet und attraktiv für Unternehmen mit datenbasierten Geschäftsmodellen ist. Das Unternehmen Microsoft tätigt mit rund drei Milliarden Euro die größte Einzelinvestition der Unternehmensgeschichte in Deutschland mit dem Schwerpunkt im Rheinischen Revier. Aber wir haben weitere Entwicklungen im Blick: Infrastrukturen für Arbeitsplätze auf breiter Ebene und Freizeitangebote, begleitet von Klimaanpassung, verknüpften Mobilitätsangeboten und umweltverträglichen Ansiedlungen. Ein Mega-Rechenzentrum allein schafft nicht ausreichend Arbeitsplätze, eine Region benötigt vor allem auch Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des akademischen und hochqualifizierten Bereichs.

Folgen wir den Forschungen von Prof. Dr. Christiane Hellmanzik, dann werden sich wahrscheinlich weitere Unternehmen mit ähnlichen Anforderungen, wie Microsoft sie hat, im Rheinischen Revier ansiedeln …

Ludger Kloidt: Genau. Energieintensive Produktionen werden im Rheinischen Revier beste Bedingungen finden. Das Rheinische Revier war immer schon ein Energieland, die Infrastrukturen haben bisher die Energie, die hier produziert wurde, in die Republik gespeist. Andersherum sind damit beste Voraussetzungen geschaffen, die regenerativen Energien aus Offshore-Anlagen sowie Solar- und Windparks ins Rheinische Revier zu bringen. Im Rheinischen Revier kreuzen sich außerdem zwei überregionale Datenautobahnen, die Trassen Amsterdam-Frankfurt und Paris-Stockholm. Hinzu kommt, dass riesige Flächen zu Verfügung stehen, die entwickelt werden können, ohne unberührte Natur zu zerstören. Flächen werden sogar der Natur zurückgegeben: Ausgesuchte Tagebaue werden mit Wasser gefüllt, eine Seenlandschaft entsteht, umgeben von einer grünen Infrastruktur.

Sehen Sie diese Potenziale auch, Frau Prof. Hellmanzik?

Christiane Hellmanzik: Durchaus, wenn die beiden großen Ziele sich erfüllen, zum einen die Versorgungssicherheit mit grünem Strom für besonders energieintensive Ansiedlungen und zum anderen eine attraktive Umgebung für eine ausgeglichene Work-Life-Balance – dann wird die Region eine große Anziehungskraft entfalten. In vielen anderen Ländern gehört ein zwischenzeitlicher Stromausfall zur Normalität, für ein Rechenzentrum hat die Versorgungssicherheit höchste Priorität.

Und die eher ländlich geprägte Region ist kein Hindernis für innovative, international agierende Unternehmen und für Spezialistinnen und Spezialisten, die angeworben werden sollen?

Christiane Hellmanzik: Da müssen wir unterscheiden, ob es sich um Dienstleistungsunternehmen handelt, die mit einer Büroetage in Düsseldorf auskommen, oder um Ansiedlungen, die wirklich viel Fläche benötigen. Bei Letzterem sind die ländlichen Regionen deutlich im Vorteil. Das Fachkräfteproblem ist zudem nicht regional lösbar. Es ist eine nationale und vor allem politische Aufgabe, hier besser zu steuern. Aktuell gehen Fachkräfte dorthin, wo sich ihnen spannende Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Wenn die Wohn- und Freizeitumgebung dann außerdem attraktiv ist, ist das ein Zusatzplus.

Ludger Kloidt: Je besser die Verkehrsanbindung in die umliegenden Städte ist, umso eher lassen sich zudem auch überzeugte Großstadtbewohnerinnen und -bewohner darauf ein, in eine eher ländlich geprägte Umgebung zu ziehen. Je nach Lebensphase, zum Beispiel für Familien mit Kindern, spricht ja vieles dafür, den Lebensmittelpunkt ins Grüne zu verlagern – oder in einigen Jahren vielleicht sogar ans Blaue, an einen schönen See. Wir sprachen eben aber auch über Innovationen. Hier möchte ich auf die Nähe des Rheinischen Reviers zu führenden Universitäten und Forschungseinrichtungen aufmerksam machen. Das ist durchaus ein Faktor, der für eine Ansiedlung im Rheinischen Revier spricht. Die RWTH Aachen, die Hochschulen in Köln und das Forschungszentrum Jülich befinden sich in der Nähe.

Hat das Rheinische Revier damit das Potenzial für ein deutsches Silicon Valley?

Christiane Hellmanzik: Auch wenn das Rheinische Revier beste Bedingungen wie Flächen, Versorgungssicherheit und Nähe
zu Forschungsinstitutionen bietet – der Vergleich mit dem Silicon Valley hinkt. Der Mythos Silicon Valley baut auf extremen Innovationsexplosionen auf – der Ursprungsfunke des Silicon Valley sprang aus einer disruptiven Innovation in die Welt über und
hat alle Branchen und Nationen nachhaltig verändert. Ein solcher Big Bang ist nicht zu erwarten. Aber Raum für bereits etablierte und innovative digitale Technologien bereitzustellen, Versorgungssicherheit mit grünem Strom zu garantieren, eine Region mit großem Erholungs- und Freizeitwert zu schaffen sowie ein gut funktionierendes Mobilitätsnetz aufzubauen – diese Kombination ergibt ein besonderes Alleinstellungsmerkmal der Region.

Liebe Frau Prof. Hellmanzik, lieber Herr Kloidt – vielen Dank für den spannenden Austausch!

Unser Auftrag

Hier ist die NRW.URBAN GmbH & Co. KG  tätig für das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen.

Ihre Kontaktperson

Ludger Kloidt, NRW.URBAN

Ludger Kloidt
Geschäftsführung

Fritz-Vomfelde-Straße 10,
40547 Düsseldorf
Tel.: 0211 54238.160

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